BERLIN – Die künftige Bundesregierung plant eine entschlossene Führungsrolle in der EU, doch intern herrscht Streit um Zuständigkeiten.
Ein Entwurf des Koalitionsvertrags zeigt: Union und SPD wollen Europas militärische und außenpolitische Stärke deutlich ausbauen. Gleichzeitig bleibt unklar, wie Deutschland seine eigene Handlungsunfähigkeit innerhalb der Regierung überwindet.
Das Dokument stammt aus den laufenden Koalitionsgesprächen zwischen CDU und SPD. Verschiedene Arbeitsgruppen haben bereits über Inhalte verhandelt. Die Parteichefs sollen nun letzte Streitpunkte lösen.
Beide Seiten zeigen bemerkensame Einigkeit bei der Europapolitik – einem Herzensthema von Friedrich Merz, der einst im EU-Parlament saß.
Fast alle Themen des Europa-Kapitels gelten bereits als abgestimmt. Nur ein Streitpunkt bleibt offen. Das Dokument wurde vom Dienst Table.Briefings veröffentlicht.
Die Koalitionspartner betonen ihren Willen, Europas sicherheitspolitische Fähigkeiten in Zeiten globaler Krisen massiv zu stärken.
Angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine und eines möglichen Rückzugs der USA will Deutschland eine Führungsrolle übernehmen.
Im Gegensatz zur alten Bundesregierung sollen klare Entscheidungen und außenpolitische Geschlossenheit die neue Linie prägen.
„Wir schöpfen alle Möglichkeiten aus, um Europas strategische Souveränität und Handlungsfähigkeit zu sichern“, heißt es im Vertrag.
Ein geopolitischer EU-Haushalt soll Europas Richtung verändern
Deutschland will die nächste EU-Haushaltsperiode mitgestalten und klare Prioritäten setzen: Verteidigung, Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit.
Die Koalition fordert, das mehrjährige Finanzpaket dürfe sich nicht weiter am alten Gleichgewicht orientieren.
Die neue Weltlage verlange auch eine neue Erweiterungspolitik. Kandidatenländer sollen sich schrittweise in EU-Institutionen integrieren.
Die Koalition nennt diese Entwicklung eine „geopolitische Notwendigkeit“ und verspricht, die Ukraine weiterhin zu unterstützen.
Sie betont dabei bewusst Zurückhaltung in der Wortwahl – im Gegensatz zu radikaleren Positionen anderer Akteure.
Union und SPD fordern, außenpolitische Entscheidungen künftig mit Mehrheit zu treffen – um Blockaden einzelner Staaten zu verhindern.
Der sogenannte Passerelle-Mechanismus der EU-Verträge soll helfen, dieses Ziel ohne Vertragsänderung zu erreichen.
Neben Frankreich und Polen sollen künftig auch Italien und Spanien stärker eingebunden werden. Das neue „Weimar Plus“-Format schafft dafür den Rahmen.
Koalitionsstreit um Macht im Kanzleramt spaltet die Partner
Trotz gemeinsamer Vision für Europa bleibt eine zentrale Frage ungelöst: Wer bestimmt Deutschlands EU-Kurs bei internen Konflikten?
Die CDU will Friedrich Merz im Zweifel Entscheidungsgewalt übertragen – besonders wenn Ministerien uneins bleiben.
Das Kanzleramt könnte laut Entwurf die Koordination übernehmen, wenn der Erfolg der Verhandlungen gefährdet scheint.
Die SPD sieht in diesem Vorschlag einen gefährlichen Präzedenzfall und lehnt eine Machtverlagerung zum Kanzler ab.
Stattdessen will sie mit festen Fristen Druck aufbauen. Die Regierung soll ihre Position öffentlich und rechtzeitig erklären.
Die Union hält diesen Vorschlag für unzureichend, weil er weiterhin Enthaltungen bei Abstimmungen nicht ausschließt.
In der vergangenen Legislaturperiode hatte die deutsche Enthaltung bei EU-Entscheidungen regelmäßig die Handlungsfähigkeit Europas geschwächt.
Beide Parteien wollen diese lähmende Situation beenden – doch ihre Methoden könnten kaum unterschiedlicher sein.
Jetzt müssen die Parteichefs eine gemeinsame Lösung finden, damit Deutschland Europas Führungsrolle tatsächlich ausfüllen kann.